Hautnahes Gerangel (Die Woche 05.10.2001)
"Hautnahes Gerangel"
Bundestagsvizepräsidentin ANTJE VOLLMER über das Verhältnis zu
Joschka Fischer und
den Streit der Grünen um einen Militäreinsatz gegen den Terror
DIE WOCHE: Sie haben nach den Terroranschlägen in den USA heftig vor
einer militärischen Eskalation gewarnt. Die USA haben sich aber bislang
besonnen verhalten, statt auf massive Militärschlage setzten sie zunächst
auf eine
politische Allianz. Waren Ihre Befürchtungen überzogen?
ANTJE VOLLMER: Ich sehe mit Respekt und Erleichterung, dass die
martialischen Töne der ersten Stunde sich zunächst nicht in Handlungen
niedergeschlagen haben. Im Moment sind die Amerikaner so stark wie noch
nie, gerade weil sie nicht sofort reagiert haben und weil sie ein breites
Bündnis geschlossen haben, wie sie es noch nie hatten. Selbst Staaten, die
eindeutig zu ihren Feinden gehörten, haben sich mit ihnen solidarisiert. Die
Krise ist allerdings von einer solchen Dimension, dass sie weiterhin
unabsehbare Eskalationsgefahren enthält -unabhängig von der Frage, ob
sich Deutschland an einem Militärschlag beteiligt oder nicht.
DIE WOCHE: Welchen Stellenwert kann das Militär überhaupt in einer
Gesamtstrategie gegen den internationalen Terrorismus haben?
VOLLMER: Eine Militärstrategie im klassischen Sinn hat da keine Chance,
weil
es keinen klaren Gegner gibt. Die Frage ist, inwieweit Einzeloperationen
sinnvoll sind, die Polizeicharakter haben, die sich also gegen einzelne
Terrorgruppen richten, ohne unschuldige Zivilisten zu treffen. Niemand
weiß jedoch, wo wir
wen suchen müssen, ganz abgesehen von dem fehlenden kulturellen
Zugang
zu diesen Terrorgruppen.
DIE WOCHE: Aber wenn die USA Bin Laden finden und ausschalten?
VOLLMER: Selbst dann bliebe die Frage: Welche Nachfolger gibt es? Beim
Terrorismus ist das Problem nie die erste Gruppe. Die kann man meist noch
mit polizeilichen Mitteln bekämpfen. Sie hat Namen, Gesichter,
Täterbiografien. Das größte Problem sind die Nachfolge-Gruppen. Wenn wir
uns die IRA oder die Eta anschauen: Der schlimmste, brutalste und nicht
mehr zu berechnende terroristische Nihilismus kam immer aus den
Nachfolge-Generationen. Deshalb
ist hier die wichtigste Aufgabe, die Terroristen auch kulturell zu isolieren,
Märtyrer-Mythen zu vermeiden und so den Einstieg in ein Jahrhundert des
Terrors zu verhindern.
DIE WOCHE: Bundeskanzler Gerhard Schröder und Ihr Außenminister
Joschka Fischer halten am militärischen Beistand für die USA fest. Ist das
falsch?
VOLLMER: Die klare Solidarität mit den USA war die Voraussetzung dafür,
erst einmal Ruhe zu schaffen. Der Druck der europäischen
Zivilgesellschaften hat die Regierungen beeinflusst und möglicherweise
auch dazu geführt, dass die USA gesagt haben, wir möchten nicht in eine
Debatte in der Nato verwickelt werden, dann machen wir es lieber alleine.
Das ist auch ein Ergebnis.
DIE WOCHE: Das ist aber noch keine Antwort auf unsere Frage.
VOLLMER: Ich bin da keine Dogmatikerin. Ich werde mir ganz genau
ansehen, wenn eine Anfrage der USA kommt, ob ich es für ein geeignetes
Mittel halte oder nicht. Die Zustimmung zu einem ,polizeilichen" Zugriff
schließe ich nicht aus.
Eine kriegerische Auseinandersetzung würde dagegen nicht nur nichts
bewirken, sie würde im Gegenteil die terroristische Gefahr noch erhöhen.
DIE WOCHE: Ist das für die Grünen eine Existenzfrage?
VOLLMER: Es ist für die Grünen eine Identitätsfrage, ob man uns das
Einstehen für eine pazifistische Strategie noch glaubt. Wir müssen
allerdings als Partei darüber neu nachdenken, was eine solche pazifistische
Strategie unter den veränderten Bedingungen bedeutet, speziell gegen den
Terror. Da gibt es noch keine Erfahrungen.
DIE WOCHE: Wenn das für Ihre Partei eine Identitätsfrage ist, muss sie sich
aber doch klar entscheiden, ob sie für oder gegen einen Militäreinsatz ist?
VOLLMER: Das ist keine Glaubensfrage. Es geht darum: Was ist die
intelligenteste Strategie, die Gewalteskalation umzukehren? Man soll nicht
die Mittel dämonisieren, sondern es geht um das Ziel. Wenn man das Mittel
allein diskutiert, ist man ein. Heiliger, aber kein Politiker und schon gar kein
politischer Pazifist.
DIE WOCHE: Aber die Weltmacht USA wird sich nicht nach den Grünen
richten, im Zweifel nicht mal der Koalitionspartner SPD.
VOLLMER: Deshalb ist unsere Aufgabe, innerhalb der Nato darauf
hinzuwirken, von einer Eskalation abzugehen. In dem Rahmen müssen wir
dann entscheiden, was unser Beitrag sein kann und was wir als Grüne
mittragen. In unserer Gesellschaft sagt mindestens die Hälfte, wir möchten
da nicht mit hineingezogen werden. Das Parlament machte einen schweren
Fehler, wenn es diese Bevölkerungsmehrheit einfach ignoriert. Da entsteht
eine riesige Kluft. Da die CDU als Opposition hier ausfällt, müssen wir in
uns selbst die andere Option abbilden. Da spricht alles für eine sehr offene
Debatte.
DIE WOCHE: Die Grünen also wieder einmal mit einem Bein in der
Opposition und mit einem in der Regierung?
VOLLMER: Nein, es geht nicht um den Spagat der Grünen. Es geht auch
nicht um narzisstische Selbstbespiegelung, dass es uns ach so sehr
zerreißt. Ich bin da überhaupt nicht zerrissen. Es ist für alle sehr schwer,
einen Weg zu finden, den die Bevölkerung mitgeht, den die Regierung
vertreten kann und der vielleicht auch noch den Vorstellungen der
Amerikaner entspricht, um an diesem extrem sensiblen Punkt der
Weltgeschichte die Dinge zum Guten zu wenden.
Gleichzeitig ist es eine gigantische Chance. Solche Gewalterfahrungen
können auch der Beginn einer neuen Ordnung sein. So etwas hat es in der
Geschichte immer wieder gegeben. Plötzlich gibt es wieder Anstrengungen,
den Nahost-Konflikt zu lösen, das Kernproblem der islamischen Welt. Erst
wenn der gelöst ist, können wir die islamischen Staaten zum Teil der
Lösung im Kampf gegen
den Terror machen. Schon jetzt wird der Iran aus der Isolation
herausgeholt.
Er könnte ein Schlüssel im Zugang zum islamischen Fundamentalismus
sein.
DIE WOCHE: Die Grünen wehren sich auch heftig gegen viele der von
Innenminister Otto Schily vorgeschlagenen Maßnahmen zur inneren
Sicherheit. Müssen nicht auch Sie neu nachdenken über das Verhältnis
zwischen Bürgerrechten und dem Wunsch der Bürger nach Schutz?
VOLLMER: Die Gesellschaft hat einen berechtigten Anspruch, geschützt zu
werden. Aber nicht symbolisch. Vieles, was da aus der Kiste gezogen wird,
ist reine Symbolik. Und für den klirrenden Ton von Otto Schily bräuchten
wir einen neuen Karl Kraus.
DIE WOCHE: Auch bei Grünen-Anhängern gibt es jedoch den Wunsch nach
mehr Sicherheit. Können sie das einfach ignorieren, ohne - wie in Hamburg
- bei Wahlen weiter abgestraft zu werden?
VOLLMER: Wir sind eine libertäre Partei. Es gibt für uns immer einen
Abschwung in Krisenzeiten. Aber wir müssen unser Außenbild schon
überprüfen. In der jetzigen Regierung sind immer wir für die
Minderheitenthemen zuständig und
die SPD für die Mehrheitsthemen. In der Koalition mit der Union war die
FDP
in einer relativ komfortablen Situation, während für uns Rot-Grün fast
immer
ein Verlustgeschäft ist. Darüber sollte auch die SPD nachdenken.
DIE WOCHE: Handelt Fischer Ihrer Ansicht nach noch wie ein Grüner?
VOLLMER: Er handelt wie ein Grüner, aber er redet nicht immer so.
DIE WOCHE: Hat er noch die Unterstützung der Partei?
VOLLMER: Bisher hat die Partei zu ihrem Außenminister gestanden ...
DIE WOCHE: ... in ziemlicher Distanz.
VOLLMER: In hautnahem Gerangel - wie immer.
DIE WOCHE: Beim zweiten Mazedonien-Einsatz hat die Koalition
geschlossen abgestimmt. Hätte sie auch bei einer Beteiligung an einem US-
Militärschlag eine eigene Mehrheit?
© 2015 Dr. Antje
Vollmer